Der Schwedischen Israelmission in Wien sei es gelungen, ab 1938 hunderten vom Judentum zum Protestantismus Konvertierten zur Flucht vor dem nationalsozialistischen Regime zu verhelfen. Gleichzeitig habe sie Listen der Konvertiten an die Nationalsozialisten weitergegeben und damit Deportationen erleichtert. Mit dieser These ließ der Historiker und Skandinavist Thomas Pammer bei der Präsentation seines neuen Buches „Die Arche Noah ist auf dem Kanal vorbeigefahren“ am Dienstag, 7. November, aufhorchen. Im Gespräch mit dem Kirchenhistoriker Karl W. Schwarz stellte er die von der Evangelischen Akademie Wien herausgegebene Publikation zur Geschichte der Schwedischen Israelmission in deren ehemaligen Räumlichkeiten – der heutigen evangelischen Messiaskapelle in der Seegasse im 9. Wiener Gemeindebezirk – dem Publikum vor.
Die Geschichte der Schwedischen Israelmission in Wien reicht bis ins Jahr 1920 zurück, als erstmals zwei Diakonissen entsendet wurden mit dem Auftrag, Jüdinnen und Juden in der Bundeshauptstadt zum Christentum zu bekehren. Wien sei dabei auf Grund seines Status als Kulturmetropole und der hohen Zahl an in Armut lebenden jüdischen Einwohnern ausgewählt worden, sagte Autor Pammer. „Denn von Anfang an war klar, dass nicht nur Mission betrieben, sondern auch karitativ gearbeitet werden solle. Immerhin waren 96 Prozent der Kinder nach dem Ersten Weltkrieg unterernährt.“ Dass sich die Mission dabei ausgerechnet in der mehrheitlich jüdischen Seegasse niederließ, sei anfangs als Provokation aufgefasst worden: „Problematisch war aber weniger, dass missioniert wurde, sondern auf welche Art und Weise – nämlich mit Fokus auf Kinder und weibliche Jugendliche“, erklärte Pammer.
Ein Wendepunkt sei die Etablierung des austrofaschistischen, katholisch orientierten Ständestaats 1933 gewesen. Sie habe dazu geführt, dass sich die österreichischen Evangelischen Kirchen verstärkt dem antisemitischen Nazi-Deutschland zuwandten; konversionsbereite Jüdinnen und Juden richteten sich daher vermehrt an die Schwedische Israelmission, die den wachsenden Antisemitismus verurteilte. Oft seien hunderte Menschen zu den Gottesdiensten in die Seegasse gekommen. Historiker Schwarz ergänzte die Ausführungen Pammers: „Die Missionare waren Charismatiker. Sie wollten nicht unbedingt, dass Juden der Evangelischen Kirche angehören, sondern sie sollten als getaufte ‚Judenchristen‘ eine Gemeinschaft bilden.“
Die Aufgabe der Israelmission änderte sich mit dem so genannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Die Einrichtungen in der Seegasse wurden zur ersten Anlaufstelle für Migrationswillige, die trotz ihres neuen Glaubensbekenntnisses als Juden verfolgt wurden. Rund 1500 Konvertiten konnte die Ausreise nach Schweden, England oder in die USA ermöglicht werden. Das sei jedoch nur dadurch möglich gewesen, so Autor Pammer, dass man sich mit der NS-Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien unter Adolf Eichmann arrangierte: „Man erfüllte alle Forderungen Eichmanns und ging sogar darüber hinaus.“ Der These Pammers, die Israelmission habe durch die Weitergabe der Daten von „Judenchristen“ viele Deportationen durch die Nationalsozialisten überhaupt erst ermöglicht, begegnete Schwarz kritisch, hier sei die Quellenlage nicht eindeutig genug.
1941 musste die Schwedische Israelmission ihre Arbeit einstellen, wurde 1946 jedoch wieder aktiv. Unter Missionsleiter Felix Propper begann ab 1951 ein Umdenken einzusetzen. Pammer dazu: „Propper sah Juden zunächst als halsstarrig und missionsbedürftig. Unter dem Einfluss des wiederauflebenden Antisemitismus änderte er seine Einstellung jedoch und wurde zum Gegner der Missionierung von Juden. Jetzt verstand er diese als ‚Fortsetzung der Judenvernichtung mit anderen Mitteln‘.“ Propper wurde 1960 auch auf Grund solcher Ansichten in den Ruhestand versetzt. 1973 zog sich die Schwedische Mission aus Wien zurück.
Der Titel des Buches „Die Arche Noah ist auf dem Kanal vorbeigefahren“ bezieht sich auf ein Gedicht der österreichischen Schriftstellerin Ilse Aichinger, die regelmäßig in der Mission in der Seegasse verkehrte und darin ihre Enttäuschung über den Rückzug 1941 zum Ausdruck brachte.